Artikel von Patricia Thivissen, Magazin Spektrum der Wissenschaft

Wer's glaubt, wird krank

Können negative Gedanken unseren Körper so beeinflussen, dass wir Schmerzen und andere Beschwerden erleiden? Und ob! Wer glaubt, etwas könne ihm schaden, dem geht es oft wirklich schlecht. Dahinter steckt der Noceboeffekt – und der beginnt im Kopf.

Ein 26-jähriger Student wird mit akuten Vergiftungssymptomen ins Krankenhaus eingeliefert. Er habe 29 Pillen des Antidepressivums geschluckt, das ihm im Rahmen einer klinischen Studie verschrieben worden sei. Weil sich seine Freundin von ihm getrennt hätte, habe er völlig verzweifelt die komplette Packung vertilgt. Überzeugt davon, sich selbst vergiftet zu haben, bricht der junge Mann, Namens Derek Adams zusammen. Sein Blutdruck sackt in den Keller, die Ärzte versuchen, ihn mit Infusionen zu stabilisieren – bis sie von benachrichtigten Kollegen erfahren, dass Adams nur wirkstoffarme Zuckerpillen geschluckt hat! Er war in besagter Studie der Placebogruppe zugeteilt worden, und wie es dabei üblich ist, wusste er nichts davon. Als man ihn darüber aufklärte, erholte sich der Patient binnen Minuten und konnte wieder nach Hause gehen.

Die Geschichte von Derek Adams klingt unglaublich – ist aber wissenschaftlich belegt. Hinter der kuriosen Begebenheit, von der Mediziner der University of Mississippi 2007 berichteten, steckt ein in der klinischen Praxis nicht zu unterschätzendes Problem. Die Rede ist vom Noceboeffekt (lateinisch nocebo = ich werde schaden) – dem „bösen Zwillingsbruder“ des Placeboeffekts. Während beim letzteren, positive Erwartungen dazu führen, dass sich Krankheitssymptome bessern, wirkt der Noceboeffekt genau umgekehrt: Er lässt Schmerzen und andere unangenehme Symptome kraft der subjektiven Überzeugung des Betroffenen erst entstehen.

Der Noceboeffekt ist mittlerweile vielfach bestätigt worden und macht sich auf verschiedene Weisen bemerkbar. So tritt er zum Beispiel in klinischen Versuchen in der Placebogruppe auf, in der die Probanden unter Begleiterscheinungen der vermeintlichen Medikamentengabe leiden. Die Turiner Neuropsychologin Martina Amanzio und ihre Kollegen stellten 2009 bei der Auswertung von 69 Studien zu Migränemitteln fest, dass sich die Nebenwirkungen – je nach Präparat – in der Kontroll- und in der Wirkstoffgruppe glichen. Unter anderem riefen Placebos von krampflösenden Mitteln Appetitlosigkeit, Gedächtnisprobleme und Atemwegsinfektionen hervor – typische Begleiteffekte der echten Medikamente.

Auch bei Antidepessiva offenbarte sich Ähnliches: So klagten Versuchspersonen in den Placebogruppen von Tests trizyklischer Antidepressiva, die wegen ihrer Nebenwirkungen heute kaum noch eingesetzt werden, häufiger über Probleme wie Mundtrockenheit, Sehstörungen, Erschöpfung und Verstopfung als Probanden aus Versuchsreihen zu den neueren Serotonin-Wiederaufnahmehemmern. Offenbar beeinflusst das Wissen über die Medikamentenklasse die Ausprägung der Symptome.“

Fazit: Wer glaubt, es könne ihm etwas schaden, dem geht es oft wirklich schlecht.
Das funktioniert umgekehrt allerdings auch!

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